Gestaltungsorientierte MINT-Zugänge IO2

In der Geschlechterforschung hat u.a. Buchen (Buchen et.al. 2006) darauf hingewiesen, „dass geschlechtsspezifisches Verhalten weniger in (sozialisations- oder gar genetisch bedingten) Persönlichkeitsstrukturen wurzelt, sondern sich unter spezifischen Bedingungen und in konkreten Situationen auch im Hinblick auf das Technikverständnis jeweils neu hergestellt“ (Schelhowe, 2007, S. 131). Schelhowe hebt hervor, dass so „auch der schwierige Zugang von Mädchen zu Technik nicht in einer grundsätzlichen Technikdistanz oder in Desinteresse vermutet [wird]. Vielmehr wurzeln das vordergründige Technikinteresse, das fast ausschließlich bei (einigen) Jungen zu finden ist sowie die Distanzierung und der Rückzug auf einen zweckrationalen, gebrauchswertorientierten Zugang bei Mädchen eher in Selbstbildern, die Faszination und Leidenschaft (für Technik) nur für Jungen oder nur im homogenen Mädchenkontext zulassen bzw. im gemischtgeschlechtlichen Kontext für Mädchen hinderlich sind“ (Schelhowe, 2007, 131ff). Die genannte Gebrauchswert- oder Anwendungsorientierung, die sich auch in Zahlen von Studentinnen in technischen Studiengängen mit hohem Anwendungsbezug spiegelt, wie z.B. Maschinenbau, Medieninformatik, der in der Regel höher liegt, als in stärker theoretisch ausgerichteten Disziplinen (wie z.B. Informatik) ist dabei ein wichtiger Anknüpfungspunkt für den gestaltungsbasierten Ansatz dieser Arbeit.

Auch neuere Initiativen der Mädchenförderung, die dem Mangel an Technikfachkräften entgegengesetzt werden, zeigen wenig mädchenspezifische Förderschwerpunkte mit der Verbindung von Technik, Kunst und Gestaltung. (z.B. die bundesweite Initiative des Fraunhofer IAIS  „Roberta“, lernen mit Robotern, die das Ziel hatte, „das Interesse insbesondere von Mädchen aber auch von Jungen für Informatik, Technik und Naturwissenschaften nachhaltig zu wecken“[1] sowie diverse bundesweite MINT-Initiativen[2]). So verweist eine fünfteilige Serie der Zeitschrift Technology Review (MIT) auf beispielhafte Projekte an einer Schule (z.B. der IGS List in Hannover, die als Beispiel für eine besonders berufsorientierte Schule angeführt wird), die zeigen sollen, wie sich dem Fachkräftemangel in der Schule durch interessante Lehr-Lernkonzepte entgegenwirken lässt. Dabei wird der besondere Bedarf nach einer Förderung von Mädchen zwar thematisiert, ihm aber kaum detailliert nachgegangen, und verbleibt im bloßen Verweis auf die festgestellte „Andersartigkeit“ der von Mädchen entworfenen Roboter-Objekte: „Ja, man sieht es: der Pinguin ist nicht nur der einzige Roboter mit Fell, er trägt auch ein rosa Tutu“ (Heinen, 2009, S. 38).[3] Hingewiesen wird allerdings darauf, dass Mädchen sich trotz Interesse und Kompetenz im technischen Bereich eher geisteswissenschaftliche Berufsfelder bevorzugen. So weisen einzelne zitierte Äußerungen von befragten Mädchen, die „später lieber etwas Kreatives“ oder „etwas mit Menschen machen“ möchten, schon auf die als getrennt erlebten Felder bzw. Welten der Einzeldisziplinen hin. Kreativität wird dabei offenbar nicht mit dem Bereich der Technik und informatischen Modellierung verbunden. Auf die Kontextualisierung von robotischen Systemen und damit verbundene Möglichkeiten des Computers, Evokationen auszulösen, bzw. mit ihm evokative Objekte zu erzeugen, wurde zunehmend im Kontext von Computern in Lernprozessen hingewiesen (Turkle, 2008) und in aktuelle Lehr-Lern-Konzepte der Informatik und Technikdidaktik einbezogen. (z.B. Schelhowe, 2007).

Auch im Zusammenhang mit robotischen, gestaltbaren Spielzeugen stellt sich zunehmend die Frage nach der Integration der Zielgruppe der Mädchen, nicht nur aufgrund des Fachkräftemangels im Bereich der so genannten MINT-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik.

Auch ein Medienprojekt, das im Rahmen des bundesweiten Forschungsprojekts „Roberta“ u.a. an der Fachhochschule Kiel und an zwei Kieler Schulen im Jahr 2009 durchgeführt wurde, setzte noch auf herkömmliche Vermittlungsformen von robotischen Systemen: „Dabei lernen die jungen Menschen in einem ersten Schritt, die Roboter zusammenzubauen – alle bekommen die gleichen Bausätze.“ Mädchenspezifische Kontexte und andere, z.B. ästhetisch-künstlerische Zugangsweisen werden dabei nicht thematisiert. Vielmehr werden bekannte Vermittlungsansätze wie die Entwicklung von Roboter-Konzepten (z.B. auch Parcours-Konzepte, die ein Roboter jeweils bewerkstelligen soll) auf die intendierte Mädchenförderung quasi eins zu eins übertragen. Dass dabei oftmals auf Gender-geprägte Ästhetiken, wie z.B. die „Plastik-Ästhetik“ der LEGO Mindstorms-Bausteine, unreflektiert zurückgegriffen wird, bestätigt die Praxis der direkten Übertragung von Konzepten auf das weibliche Geschlecht.

Für dieses Projekt stellt sich die Frage danach, wie die Interessen von Kindern und Jugendlichen, insbesondere von technikfernen, oftmals Mädchen, einbezogen und im Rahmen von selbst entwickelten interaktiven Konzepten übersetzt und in Form konkreter Projekte umgesetzt werden können? In diesem gestaltungsorientieren Ansatz werden semantische Zugänge durch Kunst, Gestaltung und ästhetische Prozesse angeregt, die an die Phantasiewelten von Mädchen und jungen Frauen anknüpfen und mit informatischem Denken und Handeln verbunden werden. So kann Lernen individuell – entlang der jeweiligen Projektidee – gestaltet und mit lebensbedeutsamen Kontexten verknüpft werden.

 

[1] zit. N. Roberta Website: http://www.roberta-home.de/de/was-ist-roberta [17.1.2011]

[2] z.B. die Initiative „Komm-mach-Mint“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), das  Projekte mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) fördert. Es geht um die „Erprobung neuer und Ausweitung bestehender Angebote zur Gewinnung junger Frauen für MINT-Studiengänge und –Berufe“. Bundesweit werden unterschiedliche Projekte unterstützt.

[3] Heinen, Nike: Tüffteln fürs Leben, in: Technology Review, 11/2009, S.34-38)

christiane

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